Produktfestlegungen in Vergabeverfahren - Zulässigkeit und Grenzen unter Berücksichtigung der Entwicklung in der aktuellen Rechtsprechung –

Titeldaten
  • Siebler, Felix; Hamm, Sebastian
  • ZfBR - Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht
  • Heft 3/2022
    S.240-246
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Aufsatz

Abstract
Der Aufsatz befasst sich mit der Produktfestlegung im Vergabeverfahren und erörtert dazu ihre Zulässigkeit sowie ihre Grenzen anhand aktueller Rechtsprechung. Zunächst leiten die Autoren aus § 31 Abs. 6 VgV und § 23 Abs. 5 UVgO sowie dem Grundsatz der sog. Produktneutralität ab, dass die Produktfestlegung innerhalb der Leistungsbeschreibung gegenüber dem Vergabeverfahren stets die Ausnahme darstelle. Daneben weisen die Autoren darauf hin, dass es sich bei der Rechtfertigung von Produktfestlegungen auch um eine Vorfrage zur Wahl der Verfahrensart handele, da bei Vorliegen von Gründen für eine zulässige Einschränkung des Wettbewerbs grundsätzlich auch der Anwendungsbereich eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherigen Teilnahmewettbewerb eröffnet sei. Allerdings müssen bei der Wahl des Vergabeverfahrens die zusätzlichen Anforderungen des § 14 Abs. 6 VgV beachtet werden, also vernünftige Ersatzlösungen oder Alternativen fehlen. Des Weiteren wird dargestellt, dass dem öffentlichen Auftraggeber das Leistungsbestimmungsrecht dahingehend zukomme, was beschafft werden soll, aber auch, wie die Leistung auszuführen ist. Zwar gelte dieses Leistungsbestimmungsrecht nicht uneingeschränkt, da dennoch der Wettbewerb sowie eine effektive Durchsetzung der Warenverkehrsfreiheit gewährleistet sein müssen. So seien die Grenzen der Zulässigkeit dann überschritten, wenn zwar der Zusatz „oder gleichwertig“ verwendet wird bzw. die Benennung eines bestimmten Produktes unterbleibt, dafür jedoch die Angabe einer Vielzahl von produktspezifischen technischen Anforderungen an die zu beschaffende Leistung zu einer sog. versteckten Produktfestlegung führe. Als sachlichen Rechtfertigungsmaßstab für Produktfestlegungen nennen die Autoren folgende abstrakte Voraussetzungen: der Auftraggeber müsse nachvollziehbare objektive und auftragsbezogene Gründe angeben und die Bestimmung somit willkürfrei getroffen sein. Die angegebenen Gründe müssen auch tatsächlich vorhanden (festzustellen und notfalls erwiesen) sein und die Festlegung dürften andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminieren. Dabei arbeiten sie heraus, dass es auf die Sinnhaftigkeit, Erforderlichkeit, Zweckmäßigkeit oder darauf, ob eine andere Vergabestelle ebenso gehandelt hätte, wegen dem Einschätzungs- und Beurteilungsspielraums des öffentlichen Auftraggebers nicht ankomme. Als Folge prüfe die Vergabenachprüfungsinstanz deshalb auch nur, ob bei der Vergabe der Sachverhalt zutreffend und vollständig ermittelt wurde, Vergabegrundsätze eingehalten wurden, keine sachwidrigen Erwägungen in die Entscheidung eingeflossen sind, die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte angemessen und vertretbar gewichtet wurden und ob der gesetzliche/ein selbst von der Vergabestelle vorgegebener Rahmen/Maßstab beachtet wurde. Im Weiteren arbeiten die Autoren anhand aktueller Rechtsprechung einzelne konkrete Leitsätze, wann eine Produktfestlegung gerechtfertigt sein kann, heraus. Eine Rechtfertigung könne sich danach insbesondere aufgrund zeitlicher, administrativer und finanzieller Mehraufwände, Sicherheitsrisiken oder Probleme bei der Datenmigration ergeben. Darüber hinaus legt der Beitrag dar, dass die Rechtsprechung subjektive Bedürfnisse nur dann berücksichtige, wenn diese objektiv spürbare Auswirkungen haben. Die Einbeziehung subjektiver Bedürfnisse sei möglich, weil dem öffentlichen Auftraggeber gerade ein Einschätzungs- und Beurteilungsspielraum zustünde. Die Autoren machen aber auch deutlich, dass eine Rechtfertigung stets nachvollziehbar begründet und dokumentiert werden müsse.
Aline Fritz, FPS Fritze Wicke Seelig Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten, Berlin