Der Rückgriff auf Angebote aus dem Vergabeverfahren nach Kündigung des Auftragnehmers und zum Wechsel des Auftragnehmers nach Zuschlagserteilung

Titeldaten
  • Walter, Otmar
  • VergabeR - Vergaberecht
  • Heft 2/2022
    S.162-166
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Aufsatz

Richtlinie 2014/24/EU v. 26.02.2014, § 132 Abs. 2 Nr. 4a GWB, § 47 Abs. 1 UVgO

BGH, Urt. v. 28.10.2003 – X ZR 248/02, OLG Celle, Beschl. v. 30.01.2020 – 13 Verg 14/19, BayObLG, Beschl. v. 09.04.2021 – Verg 3/21, OLG Frankfurt, Urt. v. 21.03.2017 – 11 U 10/17, VK Brandenburg, Beschl. v. 23.08.2018 – VK15/18

Abstract
Einleitend stellt der Autor verschiedene Situationen dar, in die ein öffentlicher Auftraggeber geraten kann, in denen er sich kurz nach Zuschlagserteilung wieder vom Vertrag lösen möchte oder muss. Dabei werden Situationen in den Blick genommen, deren Ursprung nicht im Verantwortungsbereich des Auftraggebers liegen. Der Autor stellt die These auf, dass es in solchen Situationen oftmals nicht sachgerecht sei, dem Auftraggeber die Pflicht aufzuerlegen, ein neues Vergabeverfahren zu durchlaufen. Es wird begründet, warum es häufig nicht sinnvoll sei, ein verkürztes Interimsvergabeverfahren durchzuführen. Ein Grund können etwa höhere Preise bei kurzen Laufzeiten sein. Der Autor führt ins Feld, dass die Rechtsprechung davon ausgeht, dass in bestimmten Fällen Angebote bezuschlagt werden dürften, deren Bindefrist bereits abgelaufen ist. Ausgehend von diesem Gedanken schlägt der Autor die gedankliche Brücke, ob es möglich sein müsse, auf Angebote, deren Bindefrist abgelaufen ist, zurückzugreifen, wenn der Auftraggeber den Vertrag kurz nach Zuschlagserteilung auflöst; und zwar aus Gründen, die nicht im Verantwortungsbereich des Auftraggebers liegen. Ausgehend vom Wortlaut der Richtlinie 2014/24/EU wird eine Argumentationslinie aufgebaut, die den eigentlichen Erwerb der Leistung in den Mittelpunkt rückt und weniger den formalen Zuschlag. Der Autor argumentiert ferner mit dem Wettbewerbsgrundsatz und dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit, denen Rechnung getragen werden könne. Es wird darauf verwiesen, dass die Rechtsprechung davon ausgehe, dass der Auftraggeber nicht daran gehindert sei – und unter Geltung des Haushaltsrechts im Einzelfall sogar verpflichtet sein könne –, den Zuschlag auf ein verfristetes Angebot zu erteilen. Auch einen Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sieht der Autor nicht. Der Rückgriff auf das zweitplatzierte Angebot sei verhältnismäßig, wenn im Einzelfall eine deutliche Änderung der Marktlage nicht angenommen werden kann. Auch den Gleichbehandlungsgrundsatz sieht der Autor nicht in Gefahr und unterlegt dies argumentativ. Abschließend betont der Autor, dass nicht die Durchführung von Vergabeverfahren Ziel bzw. Selbstzweck ein könne, sondern dass es um die Deckung des im öffentlichen Interesse liegenden Bedarfs unter Berücksichtigung des Wettbewerbs ginge.
Elias Könsgen, kbk Rechtsanwälte, Hannover