Augen auf bei Nachweisen über Merkmale der Leistungsbeschreibung, der Gleichwertigkeit und von Ausführungsbedingungen!

Zugleich Anmerkung zu EuGH, Urt. v. 27.10.2022 – verb. Rs. C-68/21 und C-84/21 – Iveco Orecchia*
Titeldaten
  • Hübner, Alexander
  • VergabeR - Vergaberecht
  • Heft 2/2023
    S.152-158
Zusätzliche Informationen:
Aufsatz

§ 31 Abs. 6 VgV, § 33 Abs. 2 VgV , § 121 GWB, § 122 GWB, § 128 Abs. 2 GWB, § 28 SektVO, § 31 SektVO, § 7a EU Abs. 5 Nr. 2 VOB/A , Art. 42 Abs. 3 Buchst. b) Richtlinie 2014/24/EU, Art. 44 Richtlinie 2014/24/EU, Art. 60 Richtlinie 2014/25/EU, Art. 62 Richtlinie 2014/25/EU

EuGH Urt. v. 07.09.2021 – C-927/19 – Klaipedos, EuGH Urt. v. 27.10.2022 – verb. Rs. C-68/21 und C-84/21 - Iveco Orecchia

Abstract
Der Autor setzt sich mit dem Problemfeld der Nachweisforderung für das Vorliegen technischer Leistungsmerkmale in Vergabeverfahren auseinander. Hierzu bespricht er in einem ersten Schritt ausführlich die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Iveco Orecchia vom 27.10.2022. Diese Entscheidung hatte die Beschaffung von Ersatzteilen für Kraftfahrzeuge zum Gegenstand. Der Auftraggeber forderte für die angebotenen Teile die Vorlage der kraftfahrzeugrechtlichen Typengenehmigung oder „andere geeignete Unterlagen“. Der EuGH hatte dann darüber zu entscheiden, unter welchen Umständen derartige Nachweise verlangt werden können bzw. müssen und welche Anforderungen an die ersatzweise vorgelegten „anderen geeigneten Unterlagen“ zu stellen sind. In einem zweiten Schritt extrahiert der Autor aus der Entscheidung des EuGH die maßgeblichen Feststellungen und führt diese einer über den eigentlichen Fall hinausgehenden Betrachtung zu. Hierbei setzt er sich dann dezidiert mit der Frage auseinander, wann gemäß § 33 VgV bzw. § 31 SektVO Bescheinigungen einer Konformitätsbewertungsstelle überhaupt gefordert und unter welchen Voraussetzungen diese durch andere geeignete Unterlagen ersetzt werden können. Anschließend geht der Autor der Frage nach, welche Anforderungen an die „anderen geeigneten Unterlagen“ zu stellen sind und ob insoweit generell - oder nur für den vom EuGH entschiedenen Fall über die Beschaffung von Ersatzteilen für Kraftfahrzeuge - Bestätigungen des jeweiligen Herstellers vorgelegt werden müssen. Abschließend weist der Autor darauf hin, dass die Problematik der Nachweiserbringung durch „andere geeignete Unterlagen“ nicht nur für Merkmale der Leistungsbeschreibung, sondern auch bei Ausführungsbedingungen im Sinne von § 128 Abs. 2 GWB virulent werden könne. Denn der EuGH habe in der Rechtssache Klaipedos erstmals festgestellt, dass technische Vorgaben in den Vergabeunterlagen gleichzeitig Merkmale der Leistungsbeschreibung (§ 121 GWB), Eignungskriterium (§ 122 GWB) und auch Ausführungsbedingung (§ 128 Abs. 2 GWB) sein könnten. Für die Praxis würden sich abhängig davon, ob der geforderte Nachweis ein Merkmal der Leistungsbeschreibung oder eine Ausführungsbestimmung betrifft, weitreichende Folgen ergeben. Denn lediglich dann, wenn es sich um ein Merkmal der Leistungsbeschreibung handeln würde, käme der Ausschluss des Bieters in Betracht, wenn er den geforderten Nachweis nicht erbringt. Handele es sich indes um eine Ausführungsbestimmung, käme unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH in den Sachen Klaipedos und Sanresa ein Angebotsausschluss regelmäßig nicht in Betracht. Denn in diesem Fall würde das Vorliegen bzw. die Gleichwertigkeit des Nachweises über die Einhaltung einer Ausführungsbestimmung nicht im Rahmen des Vergabeverfahrens geprüft.
Daniel Bens, avocado rechtsanwälte, München