Interimsvergaben: Daseinsvorsorge vor Vergaberecht

Titeldaten
  • Pfarr, Valeska
  • NZBau - Neue Zeitschrift für Bau- und Vergaberecht
  • Heft 1/2024
    S.19-21
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Aufsatz

Abstract
Der Beitrag befasst sich mit dem Verhältnis von Interimsvergaben zu Dringlichkeitsvergaben, insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge. Dabei setzt sich die Autorin vertieft mit einer diesbezüglichen Entscheidung des BayObLG vom 31.10.2022 – Verg 13/22 auseinander. Zunächst stellt die Autorin fest, dass vielfach nicht klar zwischen Interimsvergaben und Dringlichkeitsvergaben unterschieden wird. Zwar seien Interimsaufträge grundsätzlich dringlich, gekennzeichnet werden Interimsaufträge allerdings insbesondere durch ihre zeitliche Begrenzung und ihren reinen Überbrückungscharakter. Ein Interimsauftrag soll eine drohende Versorgungslücke im Bereich der Daseinsvorsorge sofort, aber nur übergangsweise verhindern. Das BayObLG befasste sich in diesem Zusammenhang mit einem Fall, in dem Dienstleistungen europaweit im offenen Verfahren ausgeschrieben wurden. Der Bestandsdienstleister, der sich ebenfalls am Verfahren beteiligt hatte, verhinderte die Zuschlagserteilung an einen neuen Dienstleister durch die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens. Daraufhin entschied sich der Auftraggeber dazu, den Auftrag zunächst interimsweise zu vergeben und forderte die vier bislang bestplatzierten Bieter zur Angebotsabgabe auf. Auch dagegen wehrte sich der Bestandsdienstleister. Das BayObLG stellte zunächst fest, dass die Voraussetzungen einer Dringlichkeitsvergabe gem. § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV vorlagen, da die ungewöhnlich lange Dauer des Nachprüfungsverfahrens dem Auftraggeber nicht zugerechnet werden konnte. Auf der Rechtsfolgenseite stellte das Gericht fest, dass der Auftragsgeber bei der Interimsvergabe außerdem den rangabgeschlagenen Bestandsdienstleister im Rahmen eines angemessenen Bieterwettbewerbs nicht beteiligen muss, wenn die Auswahl der beteiligten Bieter ansonsten nachvollziehbar ist. Ferner stellte das Gericht fest, dass es bei Interimsvergaben im Bereich der Daseinsvorsorge, die nicht durch § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV gerechtfertigt sind, zulässig ist, den Aspekt der Vorhersehbarkeit und Zurechenbarkeit hinter der Notwendigkeit der Kontinuität der Daseinsvorsorge zurücktreten zu lassen. Diese Entscheidung des BayObLG stimmt insoweit mit der aktuellen Spruchpraxis des EuGH überein. Der EuGH hat zuletzt entschieden, dass Wirtschaftsteilnehmer, die kein geeignetes Angebot abgegeben haben, den öffentlichen Auftraggeber nicht dazu zwingen können, mit ihnen zu verhandeln. Die Autorin spricht sich dafür aus, den Rechtsgedanken auf die Interimsvergabe zu übertragen. Ihrer Ansicht nach hätte das BayObLG auch Verhandlungen allein mit dem Bieter zulassen dürfen, der sich in dem blockierten Verfahren als Bestbieter erwiesen hat. In Bezug auf die Zulässigkeit der Interimsvergabe im Bereich der Daseinsvorsorge, stellt die Autorin fest, dass vermehrt Zweifel an der Rechtskonformität von Interimsvergaben, die nicht durch § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV gerechtfertigt sind, aufkommen. Während das BayObLG noch feststellte, dass der Aspekt der Vorhersehbarkeit und Zurechenbarkeit hinter der Notwendigkeit der Kontinuität der Daseinsvorsorge zurücktreten müsse, legte das OLG Düsseldorf diese Frage dem EuGH vor (Anm.: Am 30.11.23 hat das OLG Düsseldorf dem EuGH mitgeteilt, dass der Rechtsstreit in der Hauptsache gegenstandslos geworden ist, da die Klägerin ihre Klage vor dem OLG Düsseldorf zurückgenommen hat. Mit Beschluss vom 06.12.23 hat die 4. Kammer des EuGH entschieden, dass die Rs. C-128/23 im Register des Gerichtshofs gestrichen wird.). Die Autorin ist der Auffassung, dass für die rechtliche Bewertung von Interimsvergaben die Gestaltung der Rechtsfolgen entscheidend sei. Maßgebend seien die Bestimmungen der Rechtsmittelrichtlinie. Art. 2d III 1 RL 2007/66/EG gestattet es, dass zwingende Gründe des Allgemeininteresses es rechtfertigen können, die Wirkung eines eigentlich rechtswidrig entstandenen Vertrags zu erhalten. Bei richtlinienkonformer Auslegung könne dies auch auf Interimsvergaben übertragen werden. In diesem Fall sehe die Richtlinie „alternative Sanktionen“ vor, bspw. die Verkürzung der Vertragslaufzeit. Bei Interimsvergaben ist dies regelmäßig der Fall, da diese wie eingangs dargestellt zeitlich begrenzt werden und lediglich einen Überbrückungscharakter aufweisen. Es wäre daher eine unzulässige doppelte Sanktion des Vergaberechts, die Unwirksamkeit des angemessen zeitlich begrenzten Vertrags festzustellen, wenn die Rechtsmittelrichtlinie gerade diese Möglichkeit als alternative Sanktion zur Feststellung der Unwirksamkeit in den Fällen zulässt, in denen zwingende Gründe des Allgemeininteresses den Erhalt des Vertrages rechtfertigen.
Linda Siegert, ESCHE SCHÜMANN COMMICHAU Rechtsanwälte Wirtschaftsprüfer Steuerberater Partnerschaftsgesellschaft mbB, Hamburg