Die Bewertung mündlicher Bieteraussagen im Vergabeverfahren

Titeldaten
  • Könsgen, Elias ; Czeszak, Lukas
  • VergabeR - Vergaberecht
  • Heft 4/2020
    S.568-577
Zusätzliche Informationen:
Aufsatz

Abstract
Die Autoren setzen sich in ihrem Beitrag mit der Rolle mündlicher Bieteraussagen im Vergabeverfahren auseinander. Hierbei haben Sie zum einen die aktuelle Rechtsprechung der Vergabekammer Südbayern und der Vergabekammer Rheinland/Köln vor Augen, welche die Zulässigkeit der Bewertung mündlicher Bieteraussagen kritisch betrachten. Zum anderen untersuchen die Autoren die Regelungen des neuen Vergaberechts nach der Vergaberechtsreform 2016 im Hinblick auf die Zulässigkeit einer Bewertung mündlicher Bieteraussagen, wobei sie neben der nationalen Rechtslage auch die maßgeblichen europäischen Vorschriften in den Blick nehmen. Nach einem an die Einleitung anknüpfenden ersten Teil widmen sich die Autoren der Rechtslage vor Inkrafttreten des Vergaberechtsmodernisierungsgesetzes (VergRModG) am 18.04.2016 und heben hervor, dass die Bewertung mündlicher Bieteraussagen grundsätzlich zulässig gewesen und auch von der Rechtsprechung nicht angezweifelt worden sei. Im zweiten Teil betrachteten die Autoren die aktuelle, kritische Rechtsprechung der Vergabekammer Südbayern und der Vergabekammer Rheinland/Köln. Unter Berufung auf § 9 Abs. 2 VgV hielten die beiden vorgenannten Vergabekammern die Bewertung mündlicher Kommunikation in Vergabeverfahren generell für unzulässig. Außerdem sei die Wertung lediglich mündlich vorgetragener Angebotsbestandteile ohne Grundlage in Textform wegen §§ 53 ff. VgV unzulässig. Die Autoren weisen darauf hin, dass andere Teile der Rechtsprechung die Bewertung mündlicher Bieteraussagen weiterhin für zulässig halten. Nach dieser Darstellung der aktuellen Rechtsprechung beginnen die Autoren in einem neuen Beitragsteil mit der eigenen rechtlichen Würdigung. Hierbei knüpfen sie zunächst an das Ziel der Vergaberechtsreform an, eine Vereinfachung und vor allem Flexibilität bei Beschaffungen zu erreichen. Aus Sicht der Autoren verkehre die Argumentation der Vergabekammer Südbayern und der Vergabekammer Rheinland/Köln die gesetzgeberischen Ziele einer Vereinfachung und Flexibilisierung ins Gegenteil. Bei einer Untersuchung des § 9 Abs. 2 VgV gelangen die Autoren zu dem Ergebnis, die Vorschrift sei nicht pauschal auf alle Verfahrensarten anwendbar. Diejenigen Verfahrensarten, die eine mündliche Kommunikation voraussetzen, seien leges speciales zu § 9 Abs. 2 VgV. Selbst wenn man § 9 VgV auf alle Verfahrensarten pauschal anwende, stehe aber Art. 22 der Richtlinie 2014/24/EU und eine daran orientierte Auslegung des nationalen Rechts seiner pauschalen Anwendung auf mündliche Bieteraussagen entgegen. Anschließend untersuchen die Autoren, ob eine Präsentation nicht Teil des „Angebots“ im Sinne der VgV sein könne. Sie stellen fest, bereits der Wortlaut des § 53 Abs. 1 VgV zeige, dass der Anwendungsbereich der Vorschrift, entgegen der Sichtweise der VK Südbayern, bei der rechtlichen Einordnung von mündlichen Präsentationen nicht eröffnet sei. Sodann legen die Autoren dar, dass auch kein Schutzbedürfnis für öffentliche Auftraggeber bestehe, aus dem folge, dass die Bewertung mündlicher Bieteraussagen im Vergabeverfahren unzulässig sei. Im Gegenteil bestehe insofern ein Schutzbedürfnis, als vor allem Aspekte der Teamfähigkeit und Kooperationsbereitschaft aus einer rein textlichen Darstellung nicht erkennbar und nachprüfbar seien. Der Schutz des öffentlichen Auftraggebers spreche daher eher dafür, die Bewertung mündlicher Bieteraussagen zuzulassen. Eine solche Betrachtung entspreche auch der allgemein anerkannten Bestimmungsfreiheit öffentlicher Auftraggeber. Auch ein Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und Transparenz liege nicht vor. Die Autoren geben abschließend Empfehlungen, wie eine vergaberechtskonforme Vorgehensweise unter Wahrung der vorgenannten Grundsätze gelingen kann. Dabei seien die Wahrung von Transparenz und eine belastbare Dokumentation von grundlegender Bedeutung.
Dr. Moritz Philipp Koch, Information und Technik Nordrhein-Westfalen (IT.NRW), Düsseldorf