Die Prüfung der Angemessenheit der Angebotspreise durch den Auftraggeber nach Wegfall der verbindlichen Preisspannen in der HOAI

Titeldaten
  • Hattig, Oliver ; Oest, Tobias
  • ZfBR - Zeitschrift für deutsches und internationales Bau- und Vergaberecht
  • Heft 3/2021
    S.364-372
Zusätzliche Informationen:
Aufsatz

§ 60 VgV

EuGH, Urt. v. 04.07.2019, Rs C-377/17

Abstract
Die Autoren setzen sich ausführlich mit der Prüfung der Angemessenheit von Angebotspreisen bei der Vergabe von Architekten- und Ingenieursleistungen auseinander. In einem ersten Schritt stellen sie die maßgeblichen Änderungen in der HOAI nach dem Feststellungsurteil des EuGH vom 04.07.2019 dar. Als Kernstück der Novelle wird hervorgehoben, dass die HOAI nunmehr statt eines verbindlichen Preisrahmens mit zu beachtenden Mindest- und Honorarsätzen lediglich Orientierungshilfen vorsähe. Hierdurch werde die Vereinbarung von Honoraren durch die Vertragsparteien zum Regelfall, was wiederum dazu führe, dass die neue HOAI lediglich unverbindliche Honorarempfehlungen enthalte und die beibehaltenen Honorartafeln als Orientierungswerte bzw. Hilfestellung für die Ermittlung angemessener Honorare fungierten. Im Ergebnis seien Auftraggeber und Architekten seit Inkrafttreten der neuen HOAI in der Bestimmung der Leistung, des Leistungsumfangs, der Vergütungshöhe und auch in der Wahl der Vergütungssystematik völlig frei. Seit Geltung der neuen HOAI sei es somit möglich, die Vergütungssystematik der HOAI beizubehalten oder sich völlig von der HOAI zu lösen und beispielsweise Pauschalhonorare, Stundensätze, Erfolgshonorare oder eine Kombination dieser Vergütungsmodelle zu vereinbaren. Vor diesem Hintergrund werden in einem zweiten Schritt die Auswirkungen der HOAI-Novelle auf die Preisprüfung von Honorarangeboten untersucht. Hierzu wird klargestellt, dass mit der neuen HOAI Honorarangebote, die unterhalb oder oberhalb der Mindestsätze bzw. der Basishonorarsätze liegen, nicht mehr allein wegen der Abweichung zu den HOAI-Sätzen ausgeschlossen werden dürften. Darüber hinaus müsse der Auftraggeber im Vergabeverfahren notwendige Festlegungen zur Vergütungssystematik treffen, da anderenfalls die Vergleichbarkeit der Angebote und damit die Wertungsfähigkeit des Preises nicht mehr gewährleistet sei. Um die Vergleichbarkeit der Angebote sicherzustellen und insoweit kein unnötiges Risiko einzugehen, empfehlen die Autoren, dass zunächst weiterhin an den Honorarermittlungsparametern der HOAI festgehalten werden solle. Die europarechtlich erforderliche preisrechtliche Öffnung könne dann beispielsweise durch die Abfrage von Zu- und Abschlägen auf die HOAI-Tafelwerte erreicht werden. In einem dritten Schritt setzen sich die Autoren mit der Prüfung ungewöhnlich niedriger Angebote gemäß § 60 VgV auseinander, welche nach dem Wegfall der HOAI-Mindestsätze deutlich differenzierter auszufallen habe. Unter Darstellung von Sinn und Zweck des § 60 VgV erläutern die Autoren ausführlich das einzuhaltende Prüfungsprocedere für ungewöhnlich niedrige Angebote. Hierbei stellen sie vorab dar, was unter einem ungewöhnlich niedrigen Angebot zu verstehen ist, setzen sich mit der sogenannten Aufgreifschwelle auseinander, erläutern die Aufklärungspflicht des Auftraggebers und die Anforderungen an die Ausschlussentscheidung. Dieses Procedere übertragen die Autoren sodann auf die Preisprüfung von Planungsleistungen nach der HOAI-Novelle. Die Autoren zeigen die Probleme auf, die sich in Bezug auf die Festlegung eines Bezugspunkts für die Aufgreifschwelle bei Planungsleistungen ergeben. Sie stellen dar, dass aufgrund des bisher verbindlichen Preisrahmens der HOAI ein echter Preiswettbewerb nicht habe stattfinden können, was wiederum dazu führe, dass (noch) keine geeigneten Referenzwerte für die Prüfung unangemessen niedriger Angebote bestünden. In der Folge müsse je nach gewähltem Vergütungsmodell geprüft werden, welcher Referenzwert aussagekräftig ist und als Basis für die Angemessenheitsprüfung in Betracht kommen könne. Die Autoren erarbeiten hierfür ein differenziertes Lösungskonzept für mögliche Bezugswerte. Für die Festlegung der Aufgreifschwelle entwickeln die Autoren ebenfalls ein eigenes, abgestuftes Modell, welches sich an den Honorarhöhen des konkreten Auftrags orientiert. In Bezug auf die Honorarrechtfertigung des Bieters stellen die Autoren klar, dass der Rahmen für die Preisprüfung nunmehr wesentlich großzügiger bemessen sei, sodass auch die Erläuterung der Kalkulation durch den Bieter entsprechend vielseitiger erfolgen könne. Im Anschluss daran setzen sich die Autoren mit den Anforderungen an die Ermessensentscheidung des Auftraggebers über einen Ausschluss auseinander. In einem kurzen Exkurs zur Unterschwellenvergabe wird klargestellt, dass die UVgO auf freiberufliche Leistungen zwar keine Anwendung finde, der Auftraggeber jedoch aus haushaltsrechtlichen Gründen ebenfalls zur Prüfung unangemessen niedriger Preise verpflichtet sei. In einem Fazit fassen die Autoren die bearbeiteten Probleme zusammen und geben einen Ausblick für die zukünftige Entwicklung.

Martina Hadasch, avocado rechtsanwälte, München