Horizontale Zusammenarbeit und Besserstellungsverbot

Platz für Wettbewerb in vergabefreien Räumen
Titeldaten
  • Rechten, Stephan ; Stanko, Max
  • NZBau - Neue Zeitschrift für Bau- und Vergaberecht
  • Heft 10/2021
    S.657-662
Zusätzliche Informationen:
Aufsatz

§ 103 Abs. 1 GWB, § 108 Abs. 6 Nr. 1 GWB

EuGH, Urt. v. 28.05.2020, C-796/18, OLG Düsseldorf, Beschl. v. 03.02.2021, VII-Verg 25/18

Abstract
Die Autoren setzen sich in ihrem Beitrag mit der Entscheidung des OLG Düsseldorf zur Beschaffung des
Systems IGNIS Plus zum Betrieb von Einsatzleitsystemen für Feuerwehr- und Rettungsleitstellen durch die
Stadt Köln auseinander. In diesem Verfahren hatte das OLG dem EuGH mehrere Vorlagefragen zu
unbestimmten Tatbestandsmerkmalen innerhalb der horizontalen Zusammenarbeit und zum
Besserstellungsverbot im Rahmen des § 108 Abs. 6 GWB gestellt. Nach der Entscheidung des EuGH am
18.06.2019 hat das OLG am 03.02.2021 das Verfahren mit der Abweisung der Beschwerde beendet und
hierbei wichtige – bislang offene – Rechtsfragen für zukünftige Verfahren geklärt. Zunächst stellen die
Autoren den Sachverhalt vor, nach welchem das Land Berlin eine Software von einem privaten
Softwareunternehmen beschafft und diese Basissoftware der Stadt Köln unentgeltlich zur Verfügung
gestellt hatte. Hierbei schlossen das Land Berlin und die Stadt Köln einen unentgeltlichen EVB-IT
Überlassungsvertrag und einen Software-Kooperationsvertrag, nach welchem beide Parteien verpflichtet
wurden, sich gegenseitig sämtliche weiter beschafften fachlichen Aufbau- und Ergänzungsmodule
kostenneutral zur Verfügung zu stellen. Hiergegen wehrte sich ein Wettbewerber und leitete einen
Nachprüfungsantrag gegen die Stadt Köln ein. Nachdem die VK Rheinland den Antrag zurückgewiesen
hatte, legte der Wettbewerber sofortige Beschwerde zum OLG Düsseldorf ein, welches dem EuGH im
weiteren Verfahren drei Vorlagefragen übermittelte. So war zuerst zu klären, ob es sich bei den beiden
geschlossenen Verträgen um eine Einheit handele, welche einen „öffentlichen Auftrag“ oder nur einen
„Vertrag“ darstellten. Weiter war zu klären, ob eine Zusammenarbeit im Sinne von Art. 12 Richtlinie
2014/24/EU (bzw. § 108 Abs. 6 GWB) gemeinsam zu erbringende Dienstleistungen voraussetze oder ob es
ausreiche, dass sich die Zusammenarbeit auf Tätigkeiten beziehe, denen gemeinsam zu erbringende
Dienstleitungen in irgendeiner Form dienen. Letztlich wollte das OLG noch klären lassen, ob auch die
Vergaberichtlinie das Besserstellungsverbot kenne und falls ja, welchen Inhalt es habe. Nachfolgend stellen
die Autoren dann die Entscheidung des OLG im Kontext der Entscheidung des EuGH vor. So entschied der
EuGH auf die erste Vorlagefrage, dass eine Identität von „öffentlichem Auftrag“ und „Vertrag“ bestünde,
sodass der Begriff des „Vertrags“ nur verkürzt für den Begriff des öffentlichen Auftrags stünde. Weiter
seien die beiden geschlossenen Verträge funktional als Einheit zu betrachten. Diese funktionale Einheit sei
vorliegend auch als „entgeltlich“ zu betrachten, wobei der EuGH seine Position eines weiten
Entgeltlichkeitsbegriffs erneuert und jegliche Gegenleistung ausreichen lässt, die dem öffentlichen
Auftraggeber von unmittelbarem wirtschaftlichen Interesse ist. Im Ergebnis handelt es sich also bei den
zwischen dem Land Berlin und der Stadt Köln geschlossenen Verträgen um einen öffentlichen Auftrag im
Sinne des § 103 Abs. 1 GWB. Dieser Subsumtion konnte sich das OLG nur noch anschließen. Im
Zusammenhang mit der zweiten Vorlagefrage stellt der EuGH zunächst klar, dass nicht zwingend eine
gemeinsame Erbringung ein und derselben öffentlichen Dienstleistung erforderlich sei, sondern es auf die
Identität der gemeinsamen Zielsetzung der öffentlichen Auftraggeber ankomme. Daran anknüpfend sah
der EuGH auch die Hilfstätigkeiten als vom Befreiungstatbestand mitumfasst. Auf die weiteren
Voraussetzungen des § 108 Abs. 6 GWB kam es somit nicht mehr an, sodass dies das OLG in seinem
Beschluss nicht mehr problematisieren musste. Im Rahmen der dritten Vorlagefrage bekräftigte der EuGH
die Fortgeltung des Besserstellungsverbotes auch unter der neuen Vergaberichtlinie. Für den Wettbewerb
der Softwarepflege, -anpassung und -weiterentwicklung entwickelte der EuGH ein dreistufiges
Prüfungsprogramm, wonach die Parteien der horizontalen Kooperation jeweils über den Quellcode
verfügen müssen und zweitens auch die Möglichkeit und Bereitschaft haben müssten, diesen auch an
Bieter in zukünftigen Vergabeverfahren zu übermitteln. Drittens müsse auch der Zugang zum Quellcode
ausreichen, um interessierte Wirtschaftsteilnehmer transparent, gleich und nicht diskriminierend zu
behandeln. Hierauf baut dann das OLG seine Entscheidung auf und bejaht die ersten beiden
Prüfungsschritte. Im dritten Prüfungsschritt stellt das OLG klar, dass sich der Auftraggeber darum bemühen
müsse, den Wettbewerbsnachteil für Softwarelieferungen bei Folgevergaben gegenüber dem
ursprünglichen Lieferanten möglichst gering zu halten. Zwar müsse nicht jedes durch Voraufträge
erworbenes Know-how ausgeglichen werden, es müssten aber insbesondere ausreichende Fristen für
Neubewerber eingeräumt werden. Es sei ein Ausgleich eines Informationsgefälles zu erreichen. Im Ergebnis
kommt das OLG zu der Entscheidung, dass dies für Folgevergaben gewährleistet sei, sodass die
vorliegende Beschwerde zurückzuweisen sei. An diese Darstellung anschließend nehmen die Autoren zu
den Auswirkungen auf die Praxis Stellung, wobei sie die Entscheidung im Wesentlichen positiv bewerten,
da sie der Praxis eine verlässliche Richtschnur an die Hand gäbe. Zudem könnten beide Entscheidungen
auch wesentliche Hinweise auf andere Fälle innerhalb der Instate-Kooperation geben.
Martina Hadasch, avocado rechtsanwälte, München