Infrastrukturprojekte im Fokus des Europäischen Beihilferechts

Titeldaten
  • Derksen, Roland
  • EuZW - Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht
  • Heft 13/2021
    S.589-595
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Aufsatz

Abstract
Der Autor setzt sich mit den Anforderungen des europäischen Beihilfenrechts am Beispiel von Infrastrukturprojekten auseinander. In einem ersten Schritt erörtert er, welche Ausnahmen vom Beihilferecht bestehen und geht insoweit auf De-Minimis-Beihilfen, die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) und Koordinierungsbeihilfen ein. Anschließend erläutert der Autor die einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen einer verbotenen Beihilfe und stellt klar, dass bei größeren Infrastrukturprojekten die Voraussetzungen der Selektivität und der Wettbewerbsverfälschung regelmäßig erfüllt sein dürften. Einer genaueren Betrachtung sei in den meisten Fällen jedoch das Merkmal der Begünstigung und damit das konkrete Austauschverhältnis zwischen der staatlichen Stelle und dem ausführenden Unternehmen zu unterziehen. Insoweit sei zu beachten, dass eine Beihilfe auch dann vorliegen könne, wenn für die staatliche Leistung eine Gegenleistung erbracht werde oder lediglich Belastungen für das Unternehmen gemindert würden. Weiter sei zu beachten, dass für sogenannte Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI) und damit für Leistungen der staatlichen Daseinsvorsorge, wie beispielsweise Energieversorgung, Verkehrsdienstleistungen, Telekommunikation, Postdienste, Rundfunk, Wasserversorgung und Abfallentsorgung, durch die Altmark-Trans-Rechtsprechung des EuGH vier Kriterien formuliert wurden, bei deren Vorliegen die staatliche Ausgleichsleistung keine Begünstigung enthalte und somit auch keine verbotene Beihilfe darstelle. Sodann setzt sich der Autor mit der Wechselbeziehung zwischen Vergabe- und Beihilferecht auseinander und stellt klar, dass auch bei der Ausgestaltung von Vergaben die sich aus dem Primärrecht ergebenden beihilfenrechtlichen Anforderungen zu beachten seien. Die Marktkonformität sei durch ein Vergabeverfahren nur dann sichergestellt, wenn die Transaktion in einem offenen, transparenten, hinreichend bekannt gemachten, diskriminierungsfreien und bedingungsfreien Ausschreibungsverfahren im Einklang mit den Grundsätzen der Vergaberichtlinie erfolge. Anhand der Entscheidung der Kommission zur London Underground und des in Deutschland durchgeführten Vergabeverfahrens zur PKW-Maut stellt der Autor klar, dass die Anforderungen an den Nachweis der Marktkonformität steigen, je mehr der Wettbewerb – auch unter Beachtung des Vergaberechts – eingeschränkt wird. Wird – wie bei der PKW-Maut – ein Verhandlungsverfahren durchgeführt, bei welchem wesentliche Vertragsbedingungen, wie beispielsweise ein Schadensersatzanspruch in Höhe des Bruttounternehmenswertes im Falle der ordnungspolitischen Vertragskündigung, nachträglich abgeändert und im Ergebnis nur mit einem Bieter vereinbart werden, kann nach Ansicht des Autors kaum davon auszugehen sein, dass die Kommission die Marktkonformität unter Rückgriff auf das durchgeführte Vergabeverfahren annehmen wird. Kann die Marktkonformität nicht unter Rückgriff auf das durchgeführte Vergabeverfahren belegt werden, sei diese durch ein als Benchmarking benanntes Vergleichsverfahren zu belegen. Hierbei sind die Regelungen des jeweiligen Projekts mit denen in vergleichbaren Infrastrukturprojekten zu vergleichen. Maßgeblich sei in diesem Zusammenhang die im konkreten Projekt vorgesehene Risikoverteilung, die meistens jedoch keinem klaren Leitbild folgten. Es biete sich daher eine funktionale Betrachtung an, bei welcher geprüft werde, ob nach den Regelungen des konkreten Vertrags eine möglichst kostengünstige Projektverwirklichung zu erwarten sei. Dies dürfte regelmäßig dann der Fall sein, wenn die Risiken des konkreten Vertrags so verteilt sind, dass jede Partei das Risiko trägt, welches sie am kostengünstigsten vermeiden könne. Alternativ könne die Marktkonformität auch mittels allgemein anerkannter Standardbewertungsmethoden, wie dem private-Investor-Test, festgestellt werden. Hierbei sei zu prüfen, ob die konkrete Transaktion hinsichtlich der Relation von Leistung und Gegenleistung einem normalen Handelsgeschäft entspräche. Dies sei wiederum dann der Fall, wenn ein privater Investor in einem rein privatwirtschaftlichen Umfeld den Vertrag zu denselben Bedingungen geschlossen hätte, wie die staatliche Stelle. Der Autor nimmt diese Prüfungen sodann am Beispiel der PKW-Maut vor und kommt zu dem Ergebnis, dass weder das Benchmarking noch der private-Investor-Test die Marktkonformität der Schadensersatzregelung im Maut-Betreiber-Vertrag belegen. Der Autor kommt damit zu dem Ergebnis, dass die im Betreibervertrag für die PKW-Maut vorgesehene Entschädigung im Fall einer ordnungspolitischen Kündigung eine verbotene Beihilfe darstellt. Abschließend erläutert der Autor die Aufklärungspflichten der Kommission und die Darlegungspflichten der Mitgliedstaaten im Rahmen eines Beihilfeverfahrens und gibt einen kurzen Ausblick auf die Rechtsfolgen verbotener Beihilfen.
Martina Hadasch, avocado rechtsanwälte, München