Vergaberechtliche Anreize für die Herstellung von Arzneimitteln in Europa

Titeldaten
  • Gabriel, Marc
  • PharmR - Pharma Recht
  • Heft 4/2022
    S.253-260
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Aufsatz

OLG Düsseldorf, 01.12.2021 - VII-Verg 53/20

Abstract
Der Beitrag befasst sich mit den nach geltendem Vergaberecht bestehenden Möglichkeiten, im Rahmen von Ausschreibungen der gesetzlichen Krankenversicherungen die Besserstellung der verbrauchsortnahen Arzneimittelherstellung bzw. der Herstellung innerhalb der EU und den GPA-Unterzeichnerstaaten zu bewirken. Dies steht vor dem Hintergrund, dass angabegemäß derzeit bereits bis zu 80 % der Wirkstoffe für den europäischen Arzneimittelmarkt in China und in Indien hergestellt werden, wo der Markt auf wenige Provinzen und führende Hersteller konzentriert sei. Während auch die EU-Kommission im Rahmen ihrer Arzneimittelstrategie die strategische Bedeutung von diversifizierten Lieferketten und Produktionskapazitäten innerhalb Europas betont habe, stelle das europäische und deutsche Vergaberecht die Beschaffungsstellen vor das Problem fehlender Regelungen, um diesem Ziel angemessen Rechnung zu tragen. Demgemäß beleuchtet der Beitrag die nach geltendem Recht möglicherweise dennoch bestehenden Spielräume für Anreize für die Herstellung von Arzneimitteln in Europa. Dies geschieht v.a. in Auseinandersetzung mit der aktuellen Rechtsprechung des OLG Düsseldorf, das namentlich in drei Beschlüssen vom 01.12.2021 den engen vergaberechtlichen Spielraum für die Bevorzugung „ortsnah“ produzierender Hersteller aufgezeigt hatte. Insbesondere der vergaberechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz und die Anforderungen an Objektivität und Auftragsbezug der Zuschlagskriterien lassen es problematisch erscheinen, die Anforderung einer „geschlossenen EU-Lieferkette“ als Zuschlagskriterium zu implementieren. Als mögliche Handlungsoption für die Praxis sieht der Autor hingegen eine „Mehrfachlosvergabe mit Lokalisierungsvorbehalt“ an, zumal diese nach seiner Auffassung eine geringere „Angriffswahrscheinlichkeit“ im Rahmen von Nachprüfungsverfahren birgt. Dabei wird deutlich, dass letztlich de lege lata die Handlungsmöglichkeiten doch sehr begrenzt bleiben, was die Frage nach gesetzgeberischen Schritten auf nationaler und EU-Ebene aufwirft.

Dr. Martin Dieckmann, ESCHE SCHÜMANN COMMICHAU, Hamburg